Als nun an diesem Wochenende das religiöse Opfer begangen wurde, hatten neben vielen betroffenen Schafen, Ziegen und Rindern auch die wenigen Veganer in der Türkei Hoffnung, dass auch dieses abgesagt würde. Die vegane politische Bewegung formiert sich gerade erst, die Zahl der Mitglieder ist noch überschaubar, aber es gibt bereits das erste vegane Restaurant der Stadt: Loving Hut. An 1. November, als also bereits die ersten Opfertiere in den Zeltstädten eingetroffen waren, begingen sie den internationalen Welt-Vegan-Tag. Neben Kurzmeldungen in einigen wenigen unabhängigen Medien wird man aber höchstens durch erboste Muslime auf die friedvollen Gutmenschen aufmerksam, die glauben, statt Tiere zu schlachten, könne man auch einfach so Gutes tun und so seiner religiösen Pflicht nachkommen.
Diejenigen, die solch abtrünnigem Gedankengut Koransuren entgegen setzen und alle anderen auch, begingen das rituelle Opferfest wie gehabt: Tausende Tiere wurden auf offener Straße, in Garagen oder an den dafür extra eingerichteten Schlachtplätzen geschächtet. Fast 2000 Menschen wurden mit Verletzungen in die Notaufnahmen gebracht - den Hobbyschlachern mangelt es wohl an Routine und neben mindestens 15 abgetrennten Gliedmaßen gab es jede Menge Schnittverletzungen. Durch die Straßen und Supermärkte rasten wild gewordene Rindviecher, die ihren Besitzern entkommen waren. Und die Wasser des Bosporus färbten sich stellenweise rot vom Blut der Tiere, die nicht ordnungsgemäß an dafür vorgesehenen Plätzen geschlachtet wurden.
Auch Oppositionschef Kilicdaroglu opferte ein Rind und ließ es an die Menschen in Van, die durch das Erdeben ihr Hab und Gut verloren haben, verteilen. Ein Gutes hat die Geschichte also doch: Während die Feiertage der Republik die Fronten in der Regierung nicht mehr einen können, scheint das gemeinsame - wenn auch blutige - Ritual dies zu schaffen. Und die Kühe? Die beißen weiter ins Gras.