Montag, 7. November 2011

Die Hoffnung stirbt zu letzt

Es war ein kleiner Hoffnungsschimmer für alle Hammel, Schafe und Rinder: Die Feierlichkeiten zum Tag der Republik am 29. Oktober wurden abgesagt, nachdem ein schweres Erdbeben die südostanatolische Stadt Van heimgesucht hatte. Für echte "Republikaner", sprich die parlamentarische Opposition, war dies ein beinahe noch schlimmeres Beben, wenngleich auf ideeller Ebene. Immerhin hatte man nicht einmal kurz nach dem Tode von Republikgründer Atatürk die feierlichen Paraden abgesagt. Auch nicht während des Zweiten Weltkrieges.  CHP-Chef Kilicdaroglu, aufgrund seines Postens selbsternannte oberste Instanz in Fragen bezüglich Republik und Atatürk, belehrt die Regierung, dass es dieser wohl an Verständnis mangele, was besagte Republik ausmache.

Als nun an diesem Wochenende das religiöse Opfer begangen wurde, hatten neben vielen betroffenen Schafen, Ziegen und Rindern auch die wenigen Veganer in der Türkei Hoffnung, dass auch dieses abgesagt würde. Die vegane politische Bewegung formiert sich gerade erst, die Zahl der Mitglieder ist noch überschaubar, aber es gibt bereits das erste vegane Restaurant der Stadt: Loving Hut. An 1. November, als also bereits die ersten Opfertiere in den Zeltstädten eingetroffen waren, begingen sie den internationalen Welt-Vegan-Tag. Neben Kurzmeldungen in einigen wenigen unabhängigen Medien wird man aber höchstens durch erboste Muslime auf die friedvollen Gutmenschen aufmerksam, die glauben, statt Tiere zu schlachten, könne man auch einfach so Gutes tun und so seiner religiösen Pflicht nachkommen.

Diejenigen, die solch abtrünnigem Gedankengut Koransuren entgegen setzen und alle anderen auch, begingen das rituelle Opferfest wie gehabt: Tausende Tiere wurden auf offener Straße, in Garagen oder an den dafür extra eingerichteten Schlachtplätzen geschächtet. Fast 2000 Menschen wurden mit Verletzungen in die Notaufnahmen gebracht - den Hobbyschlachern mangelt es wohl an Routine und neben mindestens 15 abgetrennten Gliedmaßen gab es jede Menge Schnittverletzungen. Durch die Straßen und Supermärkte rasten wild gewordene Rindviecher, die ihren Besitzern entkommen waren. Und die Wasser des Bosporus färbten sich stellenweise rot vom Blut der Tiere, die nicht ordnungsgemäß an dafür vorgesehenen Plätzen geschlachtet wurden.

Auch Oppositionschef Kilicdaroglu opferte ein Rind und ließ es an die Menschen in Van, die durch das Erdeben ihr Hab und Gut verloren haben, verteilen. Ein Gutes hat die Geschichte also doch: Während die Feiertage der Republik die Fronten in der Regierung nicht mehr einen können, scheint das gemeinsame - wenn auch blutige -  Ritual dies zu schaffen. Und die Kühe? Die beißen weiter ins Gras. 

Freitag, 4. November 2011

Bloß nicht hinsehen

Google weiss, wer sich für Kinderporno interessiert. Die meisten Suchanfragen zu diesem Begriff sollen aus der Türkei stammen. Als diese Meldung das erste Mal durch die Medien gurkte, waren der damalige Innenminister Aksu und der Premier Erdogan entsetzt und versprachen Maßnahmen um die Pornographie mit Kindern zu bekämpfen, wo es nur geht.

Doch heute interessiert die Öffentlichkeit ein anderer Fall. Schon frühzeitig muss das Leben von N.C. aus der Bahn geraten sein. Der Tag, an dem sie das erste Mal an einen fremden Mann verkauft wurde, der ihr Vater hätte sein können, war sicher nur der traurige Höhepunkt einer tragischen Kindheit. Noch 25 Männer sollten folgen: rechtschaffende Bürger der Stadt Mersin, ihrem Heimatort im Südosten der Türkei. Lehrer, Beamte, Handwerker, Soldaten. Alles dabei. 

Aber dann nimmt das Leben von N.C. eine Wende und mit Hilfe eines Pfichtverteidigers kann sie ihre Peiniger anzeigen. Denn laut Ausweis ist das Mädchen erst 12 Jahre alt. Die staatliche Jugendhilfe nimmt sich ihrer an, bringt sie nach Istanbul, stellt ihr eine Anwältin zur Seite. Bis sie 18 wird - dann ist diese nicht mehr zuständig. Langsam, wie die Mühlen der Justiz häufig malen, ist das vor einem endgültigen Urteil. Doch noch immer hat N.C. ein bisschen Glück. Zu diesem Zeitpunkt dürften die Narben der vier Operationen, die sie benötigt hat um wieder sitzen zu können, verheilt sein und es finden sich Anwälte und Vereine, die sich ihrer annehmen. 

Der Schock war das erste Urteil: Milde ließ man den Männern gewähren. Denn man ging davon aus, dass das Kind "einvernehmlichen Sex" gehabt hatte. Und natürlich möchte man das Leben von ehrenwerten Bürgern nicht ruinieren. 

Was man einem Bezirksgericht in Mardin noch verzeihen mag, bestätigte nun der Oberste Gerichtshof der Türkei. Trotz massiver Kritik steht der vorsitzende Richter Fevzi Elmas hinter seinem Urteil und erklärt "Mit Wehgeschrei kann man das nicht ändern". Die Milde, die angewendet wurde, rechnet er damit vor, dass das Knochenalter des Opfers auf 14 Jahre berechnet wurde. Also fast 15! Und dann - dann ist alles nicht mehr so schlimm. Dann kann sie anscheinend entscheiden, dass sie sich von 26 Männern, die ihre Väter oder Großväter hätten sein können, vergewaltigen lassen möchte.  Sieh mal an. 

Wer ein Kind vergewaltigt, der findet schnell ein Schlupfloch. Sei es das "Einverständnis" oder auch die spätere "Ehe". Doch der Ansatz der Pornographie ist ein guter: Das Zusehen sollte ebenso bestraft werden. Und hier reden wir nicht nur von Zelluloid. 


Dienstag, 1. November 2011

Beethoven kontra Quietscheentchen


Eine ziemlich bunte Raupe dudelt "Freude schöner Götterfunken", während mein begeistertes Kleinkind dazu  tanzt.
Mich erinnert das an ein sehr denkwürdiges Gespräch mit einem türkischen Spielwarenhändler, vor vielen, vielen Jahren, als meine jetzt schon recht große Tochter noch sehr klein war. Überzeugt davon, dass ein Kind nicht ohne Spieluhr groß werden könne, verlangte ich nach "einem Kuscheltier, das Musik spielt". Der Verkäufer zögerte nur kurz, dann bot er mir ein gelbes Quietscheentchen an und quetschte es gleich neben meinem Ohr.  Staunend gab ich zu bedenken, dass die Ente nur quakt, nicht aber wie gewünscht Musik spielt. Auch mangelte es an der Eigenschaft "kuschelig weich". Daraufhin belehrte mich der Verkäufer: "Aber ein so kleines Kind bemerkt doch den Unterschied gar nicht!" Da hat er zwar womöglich recht, doch ohne ihn darauf hinzuweisen, dass es darum ginge eben diesen Unterschied zu lernen, verließ ich den Laden.
Eine Spieluhr habe ich damals übrigens in der gesamten Stadt nicht gefunden. Aber das ist womöglich nicht so schlimm: Wir haben mittlerweile unzählige in jeder erdenklichen Form und Farbe. Da man Kinder im Land der Dichter und Denker (und Komponisten!)  anscheinend ja nicht ohne groß ziehen kann, bekamen wir von dort eine ganze dudelnde Armee von Spieluhren von Tanten, Verwandten und Freunden zu den verschiedensten Anlässen geschenkt. 
Inzwischen hat auch der Türkische Kulturminister Ertugrul Günay musikalischen Nachholbedarf erkannt und versucht diesen Mängel schnellstmöglich zu beheben. Abhilfe hofft er dadurch zu finden, dass er das Staatliche Symphonieorchester auf Tour durch die abgelegenen Ecken Anatoliens schickt. Der Orchesterleiter Kenan Gökkaya freut sich, dass sie mit ihrem Bus über Land fahren und „die in den Dörfern versteckten Beethovens, Pavarottis, Mozarts und Asik Veysels“ entdecken werden. Für die Zukunft hofft er sogar auf eine „Musikhotline“: Neben 155 für die Polizei, 156 für die Gendarmerie und 110 für die Feuerwehr könnte man dann, vielleicht unter 123, eine Kunsthotline erreichen und so die Liebe zur klassischen Musik bis ins tiefste Anatolien tragen. 
Mein Kleinkind mag am liebsten Beethoven aus dem Wurm und natürlich: Sein Quietscheentchen. Es lebt im Bad. 

Dienstag, 25. Oktober 2011

Triskaidekaphobie

Triskaidekaphobie ist der Fachausdruck für die Angst vor der Zahl 13. Die 13 soll ja häufig nichts Gutes verkünden "jetzt schlägt's 13" oder die "Dreizehnte Stunde", also die Geisterstunde, künden von drohendem Unheil. Während in anderen Kulturen die Zahl gerne auch mal Positives bringt, hat es sich im christlichen Kulturkreis das mulmige Gefühl um Freitag, den 13. durchgesetzt. Denn bereits beim letzten Abendmahl war es der 13. Teilnehmer, der Jesus Christus an die damalige Justiz verraten haben soll. 
Man möchte es kaum glauben, aber in vielen Hotels gibt es heute keine Zimmer Nr. 13, bei Sportveranstaltungen verkneifen sich Veranstalter oft die Startziffer 13 und Fluggesellschaften wie Condor oder Lufthansa verzichten auf die dreizehnte Sitzreihe und den vermeintlich Unglück bringenden Sitz. Übrigens auch die Turkish Airlines. 
Dies wiederum hat Özcan Yeniceri, seines Zeichens Abgeordneter der nationalistischen MHP, erzürnt und er stellte einen Antrag, diesen Zustand sofort zu ändern. Denn eine Unglückszahl könne die 13 beim besten Willen nicht sein: Zählt man die Zahlen des Geburtsjahres des Propheten Mohammed, also 571 zusammen, ergibt das die 13. Und genau so 1453, die Jahreszahl der Eroberung Istanbuls: 13! 

Donnerstag, 13. Oktober 2011

Prügel für Anfänger

Gut gemeint hat es die Stadtverwaltung Izmir sicher und wohl auch Mühe gegeben. Frucht dieser Arbeit ist eine kleine Broschüre mit dem Titel "Anleitung zum Schutz vor Prügel". Darin finden sich so brauchbare Ratschläge wie "Meiden Sie im akuten Fall Räume mit nur einem Zugang, wie etwa das Bad." Oder es wird geraten "Embrionalstellung" einzunehmen, wenn es gerade Prügel hagelt. Immer griffbereit sollte eine Tasche stehen. Die Kolumnistin Ceyda Isik ist dem Himmel auf internethaber vor allem für eins dankbar: dass nicht auch noch geraten wird ein Mal die Woche mit seinem gewalttätigen Gatten eine "Übung" abzuhalten, damit man für den Ernstfall vorbereitet ist.
Wir erkennen daraus: Prügelnde Ehemänner scheinen unumgänglich. Einfacher ist es für frau in der Türkei sich einfach daran zu gewöhnen, sprich vorzubereiten. In diesem Sinne werden sicher bald auch Broschüren zum Thema "Verhalten bei Vergewaltigung", "Anleitung bei Diskriminierung" oder das "Merkblatt nach vermeidbaren Unfällen" erscheinen. Es heißt ja immer: Bildung ist einfach das A und O!

Wer hat jetzt die Hosen an?

Und wieder haben die Frauen nicht die Hosen an. Zumindest nicht im Türkischen Parlament. (siehe: Was ziehen wir heute an?) Irgendwie ging dann doch alles zu schnell und man bekam wohl Angst vor dem Stein, den man angestoßen hatte. Eigentlich wollte man es außerdem einfach richtig machen. Und zu guter Letzt machte man eben einfach gar nichts. Die Männer behalten die Hosen also doch für sich.

Zum einen hatten weitere Anträge auf Lockerung der Kleiderordnung zu viel Unruhe gebracht. Der Linke Sirri Sürreyya Önder hatte beispielsweise gehofft, dass man die Krawatte für Männer aus den heiligen Hallen verbannen könne und womöglich gar im Gegenzug das Kopftuch erlauben. Das war nun wohl doch ein Tick zu viel für das Land, dass anhand von Symbolen glaubt den Laizismus aufrecht erhalten zu können.

Aufatmen konnte  Nusret Cicek: Der pensionierte Richter und ehemalige Berater des Justizministeriums nahm in seiner Kolumne in der Tageszeitung Akit kein Blatt vor den Mund, um seinem Unmut über die Hosen an Frauenkörpern Luft zu machen: "Diesen ekelhaften Anblick von Frauenhintern in engen Hosen, dem wir auf der Straße ausgeliefert sind, wird  man nun auch ins Parlament übertragen." Weiter wettert er, dass die Hose - zumindest am Körper einer Frau -  eine "zur Schaustellung der Sexualität" sei.

Und nicht zuletzt der türkische Premier Recep Tayyip Erdogan selber dürfte sich freuen, dass in letzter Minute das Hosenverbot für Frauen blieb, hatte er doch bei der Eröffnung des akademischen Jahres an der Istanbul Universität darauf hingewiesen, dass es in Afrika keinen Hunger mehr gäbe, wenn der Westen "die Reste aus seinem Hosenaufschlag verteilen würde". Da haben wir doch endlich mal einen wirklich guten Grund für ein Hosenverbot!

Montag, 10. Oktober 2011

Unsichtbar

Unsichtbar ist die Frau im Islam im öffentlichen Raum, zumindest sollte sie es sein. Unsichtbar war auch
Tenzile Erdogan, die Mutter des Premierministers Erdogan. Selten gab es Besuche des berühmten Sohnes, die in der Presse berichtet wurden. Vergangene Woche starb die alte Frau, wir wissen allerdings nicht genau in welchem Alter. 

Ihre Aussegnung und Beerdigung war ein mediales Großereignis. Weinend sah man den Premier und erschüttert den Präsidenten, den Außenminister, den Energieminister, den Bürgermeister von Istanbul, den Großmufti während sie den Sarg trugen oder beteten... 
Was wir nicht sahen: Die Ehefrau des trauenden Sohnes, seine Schwester, seine Tochter. Die Freundinnen und Nachbarinnen der Verblichenen, die Familienministerin oder eben kurz: Irgendeine Frau. 

Hunderte Bilder in den Medien, doch um trauernde Frauen zu finden, muss man lange suchen. Irgendwo findet man sie doch noch, aber es ist nicht zu erkennen, wo sich die Ehefrau und Kinder des Ministerpräsidenten aufhalten. Eindeutig ist: Im Hintergrund. Nicht in der Nähe des Sarges. 

Eigentlich könnte man es auch als Ironie des Schicksals betrachten. Denn über achtzig Jahre lebte Tenzile in einer Welt, die durch die strenge Trennung der Geschlechter bestimmt wurde und dann geleiten sie nur Männer in die Ewigkeit. 

Freitag, 7. Oktober 2011

Lassen wir uns Zeit

Haber Türk, 7. Oktober 2011, Seite 1
Sefika Etik in Manisa war vor ihrem gewalttätigen Ehemann in ein Frauenhaus geflohen. Neunzehn Jahre lang hatte sie seine Prügel eingesteckt und seine Kinder groß gezogen. Doch irgendwann war es ihr zu viel und sie in der Hoffnung auf ein besseres Leben ging sie ins Frauenhaus. Er bereute, er gelobte Besserung, wollte sich bestimmt auch wieder einen Job suchen, wenn sie nur zurück käme. Zwei Kinder, fast zwanzig Jahre und Frauenhäuser bieten auch nicht für immer eine Perspektive. Also ließ sie sich von Ibrahim überreden und kam mit nach Hause. Nur eine Stunde währte das neue Glück: Dann ragte in ihrem Rücken ein Fleischermesser und ihr Mann versuchte das Haus anzuzünden um die Spuren zu beseitigen, die ihn als Mörder eindeutig entlarven würden.

Haber Türk, 7. Oktober 2011, Seite 27
H.Ö. war wegen Mordes im Gefängnis, ganze zehn Jahre hatte er verbüsst, als er durch eine Generalamnestie 2002 wieder auf freien Fuß kam. Er heiratete, aber die Ehe scheiterte. Nach nur vier Jahren ließ sich seine Frau im vergangenen Jahr scheiden. Aber Menemen bei Izmir ist überschaulich. Wenn man jemanden sucht, dann findet man auch. H.Ö. lauerte seiner Frau auf dem Weg zur Arbeit auf, zückte eine Pistole und schoss so lange auf Kopf und Brust, bis er sicher sein konnte, dass sie tot ist. Danach lieferte er sich eine Verfolgungsjagd mit der Polizei, konnte allerdings nicht entkommen.

Radikal, 7. Oktober 2011
Drei minderjährige Mädchen wurden unabhängig voneinander in Sanliurfa wegen Geburtswehen ins Krankenhaus eingeliefert. Eine Vierzehnjährige durfte sich auf die Geburt ihres ersten Kindes, das sie mit einem einundfünzigjährigen Verwandten erwartet, freuen. Allerdings nicht lange: den geltenden türkischen Gesetzen nach werden alle drei Väter wegen Unzucht mit Minderjährigen angezeigt werden.

Sabah, 7. Oktober 2011
Ramazan C. war nach einem Sturz aus großer Höhe so schwer verletzt, dass er in einem Krankenhaus in Gaziantep stationär behandelt werden musste. Dass dieser Krankenhausaufenthalt das Ende bedeuten würde, ahnte zu diesem Zeitpunkt nur sein Bruder. Dieser schritt mutigen Schrittes mit einer Pistole bewaffnet in das Krankenzimmer, forderte die Anwesenden auf zu gehen und als sie dem, ahnend was folgen würde, nicht nachkamen, erschoss er seinen kleinen Bruder eben vor ihren entsetzten Augen. Dann ging er auf die Polizeiwache des Krankenhauses, überreichte seine Waffe und erklärte: "Mein Bruder war eine Transe. Seit zwei Jahren schämen wir uns vor die Tür zu gehen. Unsere Ehre ist wieder hergestellt."

Twitter, 7. Oktober 2011
Ümit Boyner, Vorsitzende des Unternehmer- und Industriellenverbandes TÜSIAD, schämt sich. Das Kassationsgericht hatte ein Urteil, in dem es lautete, dass die dreizehnjährige N.C. "sich der ganzen Sache bewusst gewesen sei" und deswegen die Täter satte Strafminderung kassierten, bestätigt. 28 Männer, Soldaten, Dorfschützer und Ortsvorsteher hatten das Kind vergewaltigt. Sie trägt wohl eine Mitschuld. Oder hatte die Straftat provoziert?

Die Föderation der Frauenverbände in der Türkei hatte für den 5. Oktober eine Demonstration angesagt, auf der gegen Gewalt an Frauen demonstriert werden sollte. Doch dieser Termin wurde nun nach hinten verschoben. Denn man glaubt, so hieß es in einer Presseerklärung, an den guten Willen der neuen Familienministerin Fatma Sahin. Man räumt ihr eine Frist ein.
So viel Zeit haben wir sicher...

Dienstag, 4. Oktober 2011

Schlapphüte

Eine verheißungsvolle Stellenanzeige sucht nach Bewerbern, die "starke analytische Fähigkeiten, gute Kommunikationsfähigkeiten, Verantwortungsbewusstsein mitbringen und außerdem offen für Weiterentwicklung sind,  neugierig, mit praktischem Verstand gesegnet und Führungseigenschaften aufweisen". Außerdem handelt es sich um ein modernes Unternehmen, das neben Karrieremöglichkeiten auch noch jede menge weiterer Annehmlichkeiten zu bieten hat. Vor allem gesucht sind auch Fremdsprachentalente. 
Doch eines stört das Gesamtbild und dürfte die eine oder andere Bewerberin doch abhalten: In der Stellenanzeige des türkischen Geheimdienstes sind Frauen eindeutig ausgeschlossen. 
Nun, in der Öffentlichkeit hat das nicht für viel Aufsehen gesorgt. Warum auch? Die wenigsten können sich hier wohl Schlapphüte über geblümten Kopftüchern vorstellen. Bisher erreicht die Männerdomäne einen Anteil von 18,1 Prozent des "ungewollten" Geschlechts. 
Irritiert fühlten sich vor allem Frauenverbände und die Gleichstellungskommission des Türkischen Parlaments, letztere ging der Sache nach und beantragte die Gründe für diese offensichtliche Diskriminierung der Frau darzulegen. Und wie so oft: Eigentlich möchte man diese gar nicht wirklich wissen. Wohl in Ermangelung weiblicher Beraterinnen gab Emre Tamer im Auftrag der Behörde daraufhin bekannt, dass Frauen für den Job als Geheimdienstlerinnen nicht geeignet seien, da "diejenigen, die vor allem im Osten und Südosten des Landes eingesetzt werden, mutig und stressresistent sein müssen. Frauen zeigen ihre Reaktionen zu offensichtlich und enttarnen sich. Deswegen bevorzugen wir männliche Agenten." 
Dabei könnte man durchaus davon ausgehen, dass Neugierde, praktischer Verstand, Kommunikationsfähigkeit und Verantwortungsbewusstsein bei Frauen anzutreffen sei. Doch anscheinend benötigt man für den türkischen Secret Service dann doch eher "typisch männliche" Qualitäten.  Dabei beweisen doch gerade so manche Damen hier, dass sie gut einstecken können: Jede zweite gibt nämlich zu, bereits Prügel kassiert zu haben aber 88 Prozent der Geschlagenen glauben, dass sie mit dieser Situation auch ohne Hilfe klar kommen...

Montag, 26. September 2011

East meets West

Zehn Jahre Gewalt, Prügel und sogar Verletzungen mit dem Messer hatte Aysel A.  hinter sich, als sie sich mit Veilchen am Auge, ihrer kleinen Tochter an der einen und einem Koffer in der anderen Hand an die Staatsanwaltschaft Ankara wendete. Diesmal hatte ihr Mann angekündigt sie zu töten. Versucht hatte er das bereits zuvor: vor einigen Jahren stand er vor Gericht, weil er Aysel mit dem Messer verletzt hatte. Doch weil sie in letzter Sekunde die Anzeige zurück gezogen hatte, ging er straffrei aus.
Diesmal sollte es anders sein, diesmal wollte sie Schutz. Sie war es leid das schwer verdiente Geld bei ihm abzugeben und geprügelt zu werden, wenn sie sich weigerte. Womöglich war sie vieles andere auch noch leid, was ihr dabei half, die Schwelle zu überwinden. Um so schlimmer muss es für sie gewesen sein, als man sie abwies: weil sie keinen offiziellen Trauschein vorweisen könne, sondern nur eine vor dem Imam getraute Ehe führe, schickt man sie zurück. Mit ihr wurde auch die vierjährige Tochter zurückgeschickt.

Auf der Internetseite www.darisibasina.com erfahren wir mehr darüber, was man sich unter dieser Imam- Ehe so vorstellen kann. Hier wird sie als das natürliche Recht eines jeden Muslimen beschrieben, das vom Westen mit seinen unnatürlichen Gesetzen beschnitten wird. Es wird betont, dass es zum muslimischen Kultur gehört, diese Form der Ehe, die übrigens mit bis zu vier Frauen geschlossen werden kann, zu führen. Und außerdem ist es ein Schutz der Frau und aus Respekt heiratet man sie - nicht wie im Westen, wo die Männer sich verantwortungslos vergnügen.
Offiziell sind die Zweitfrauen allerdings nicht anerkannt in der Türkei, obwohl es weit über 100.000 sein sollen. Aber wer weiss das schon genau  - Belege lassen sich schwer finden. Vor allem im Südosten sollen sie vorkommen. Denn Ehefrauen sind dort kostenlose Arbeitskräfte und männliche Nachkommen ein Muss: notfalls lässt man sie eben von der Zweitfrau gebären. Aber zu glauben, dass es dieses Phänomen nur im "wilden Kurdistan" gibt, wäre falsch. Vor einigen Jahren geisterte ein Bericht durch die Medien, dass ein Berater des Ministerpräsidenten und ehemaliger Vertreter von Milli Görüs in Deutschland ebenfalls mehr als eine Ehefrau habe. Nachdem dies heiße Diskussionen losgetreten hatte, passierte: nichts.

Es gibt wohl kaum jemanden, für den die Kluft zwischen West und Ost so weit klafft, wie für die vor dem Imam getrauten Frauen. Offiziell gelten ihre Ehen nicht und sie können weder von der Familienversicherung profitieren, noch von der Rente,  noch können sie sich scheiden lassen, noch haben sie häufig Recht auf ihre Kinder. Im Fall von Zweitfrauen werden diese meist sowieso auf den Namen der Erstfrau eingetragen. Das bedeutet aber auch, dass frau sie nie besuchen kann, falls das Leben die Kinder ins Ausland verschlägt (immerhin nicht selten bei einem so migrationsfreudigen ehemaligen Nomadenvolk).

Es bedeutet eben auch, dass man keinen Schutz vor einem prügelnden Mann hat, wie wir jetzt gelernt haben. Heißt es jetzt im Fall von Aysel, dass sie ihren Peiniger ehelichen sollte? Eher nein: Die Liste der Frauen, die einen Trauschein besaßen und dennoch bei Polizei, Staatsanwaltschaft und Behörden keinen Schutz gefunden haben, ist lang. Es heißt, dass täglich drei Frauen in der Türkei durch männliche Gewalt sterben. Viele davon wussten, was sie erwartet, fanden aber keine Hilfe bei dem Versuch dieses Schicksal abzuwenden.

Mittwoch, 21. September 2011

Nix für echte Kerle

Von Fußball verstehe ich nichts, aber wenn man einen Blick auf die Sommer-Emma wirft, wird einem klar, dass man als brave Feministin Interesse daran entwickeln sollte, wie 22 Menschen schwitzend über den Rasen laufen.
40.000 Zuschauerinnen verzeichnete ein Spiel zwischen Fenerbahce und Manisaspor diese Woche. ZuschauerINNEN wohlgemerkt: Nachdem den Fans aufgrund des laufenden Wettskandals wohl das Temperament durchgegangen war und sie den Platz gestürmt hatten,  wurde über den Istanbuler Topverein  eine Sperre verhängt und eigentlich müsste er ohne Zuschauer spielen. Doch clever sind die Herren ja, die Millionen mit dem Ball verdienen und stellten fest, dass Frauen und Kinder eben keine Zuschauer sind. So fand das Spiel vor ausschließlich weiblichem Publikum statt. Ein Novum in der gesamten Fußballwelt und in der Türkei größtenteils gefeiert.
Nur einige wenige Stimmen werden laut, die zwar den Frauen die Freude am männerfreien Fußballgenuss im Stadion gönnen, den bitteren Beigeschmack allerdings nicht schlucken möchten.
Denn eine Begründung, warum Frauen eigentlich keine Zuschauer sind, gibt es nicht.
Bahar Cuhadar schlägt in Radikal ganz richtig vor: Wenn es wirklich um positive Diskriminierung von Frauen gehen soll und Frauen effektiv etwas davon haben sollen, könnten sich die Vereine ja dazu durchringen ein prestigereiches Derby wie beispielsweise Fenerbahce-Galatasaray für Männer zu sperren.
Stimmt. Wenn die Herren der Fußballindustrie das schaffen, nehmen wir ihnen ab, dass sie Frauen als Fans, als Zuschauer oder von mir aus auch als Wirtschaftsfaktor ernst nehmen und nicht nur als bunte Deko eines leeren Stadions. Übrigens: das Spiel würde ich mir dann auch ansehen...

Samstag, 17. September 2011

Time Warp

Viele Menschen wünschen sich durch die Zeit reisen zu können. Historiker träumen davon sich in der Vergangenheit ein direktes Bild einer bestimmten Epoche machen zu können und Antworten auf Fragen finden, die sonst für immer unbeantwortet bleiben würden. Andere wollen bei einer Reise in die Zukunft erfahren, welchen Einfluss die Entscheidungen von Heute auf zukünftige Menschen und Generationen haben werden.
Doch einstweilen sind solche Reisen nur Fiktion und um die Vergangenheit oder die Zukunft einschätzen zu können, müssen wir uns daher weiterhin auf unsere Erfahrung der Gegenwart und die Berichte der Älteren verlassen. 

Ich erinnere mich noch genau, als im Herbst 2004 das neue Türkische Strafgesetzbuch verabschiedet wurde. Für die Frau brachte dies einige Verbesserungen: Sexualstraftaten fielen nicht mehr in den Bereich "Verbrechen gegen die Gesellschaft", sondern "Straftaten, die gegen eine Person gerichtet sind". Damit wurde endlich anerkannt, dass der Körper der Frau der Frau gehört - nicht der Gesellschaft oder ihrer Familie.  

Viele der Änderungen waren mehr als überfällig. Beispielsweise konnte man bis dahin bei sexueller Gewalt an Minderjährigen unter 15 Jahren darauf hoffen, dass diese eingestehen "einvernehmlichen Sex" genossen zu haben. Seit 2004 ist Sex mit Minderjährigen eine Straftat, ohne Wenn und Aber.  

Vergewaltigung in der Ehe ebenso und Morde an Frauen gelten nun auch als Mord und werden auch so geahndet: Bis dahin gab es tatsächlich "mildernde Umstände", weil die Täter anführen konnten, dass sie zur Verteidigung von dem, was sie als "Ehre" bezeichnen, gemordet hatten.  

Und es wurde ein Paragraf abgeschafft, der es Vergewaltigern ermöglichte straffrei auszugehen, wenn sie geloben es wieder zu tun. Und wieder und wieder: Versprach ein Vergewaltiger sein Opfer zu heiraten, dann drohte ihm nämlich keine Strafe. 
Denn: In den Augen der Gesellschaft war die Tat damit ausgeglichen und damit wird auch deutlich, welch wichtiger Schritt es war, dass Sexualstraftaten als Verbrechen gegen die Person, nicht gegen die Gesellschaft oder Familie betrachtet werden. (Frauenrechte)

Natürlich dauert es länger, bis solche Änderungen in der Gesellschaft und in den Köpfen der einzelnen Menschen angekommen können. Letztendlich geht es ja um ein völlig neues Bild der Frau in der Gesellschaft. Das ändert sich nicht von heute auf morgen. 

Von heute auf morgen änderte sich vor allem eines: die Statistiken in Bezug auf Gewalt an Frauen. Zum einen sicherlich, weil immer mehr Frauen den Mut finden und bei Behörden, Staatsanwaltschaft oder Polizei Hilfe suchen. Sicherlich aber auch, weil vieles, was noch vor weniger als einem Jahrzehnt als "normaler Umgang" mit seiner Frau, Schwester, Tochter oder Nichte durchging, heute schlicht und ergreifend ein Verbrechen ist. 

Dabei ist die türkische Justiz bereits hoffnungslos überlastet und der Hohe Rat der Richter und Staatsanwälte, wohlgemerkt eine Institution, die dem Justizministerium untersteht, sucht nach Möglichkeiten die Flut von zu bearbeitenden Fällen einzudämmen. Die scheint nun gefunden: Beispielsweise, so heißt es in einem Bericht, könnte man ja Vergewaltigern Straffreiheit anbieten, wenn diese bereits sind, ihre Opfer zu heiraten. Oder Jugendliche unter 15 Jahren fragen, ob sie nicht doch Spass am Sex hatten. Dann müsste man auch keine Fälle mehr verhandeln, in denen es um Kinderbräute geht... 

Als 2004 das neue Türkische Strafgesetzbuch eingeführt wurde, kam ich aus dem Staunen nicht heraus, was es bis dahin alles für unglaublich frauenverachtende Bestimmungen gegeben hatte. Als ich fast genau sieben Jahre später die Meldung über den Bericht des Hohen Rates in der Tageszeitung Radikal lese, kontrolliere ich tatsächlich das Datum. In der Hoffnung, dass ich aus Versehen in die Vergangenheit gereist bin und nicht einen Blick in die Zukunft werfe. 

Freitag, 16. September 2011

Was ziehen wir heute an?

Es ist so weit: Wenn am 1. Oktober die neue Legislaturperiode im Parlament in Ankara beginnt, so mit geänderten Kleidervorschriften für Frauen. Man höre und Staune, aber bisher war es den Volksvertreterinnen untersagt, in Hosen zur Sitzung zu erscheinen. Ein "Damenkostüm" sahen die Vorschriften vor und mehrere Versuche dies zu verändern, verliefen im Sand.

Aber man möge nicht glauben, dass die Kleiderschriften aufgehoben wurden und Frauen in Kleidung erscheinen dürfen, die bequem ist, ihnen gefällt oder gut steht. Lediglich ist es den Damen nun gestattet, in Stoffhosen statt Röcken zu erscheinen. Denn es geht nicht darum, den Frauen mehr Freiheit in Kleiderfragen einzuräumen. Zurück geht der Antrag nämlich auf die Tatsache, dass die CHP-Abgeordnete Safak Pavey bei einem Zugunglück für vielen Jahren einen Arm und ein Bein verloren hatte. Anscheinend wollten die konservativen Abgeordneten der AKP nicht dem Anblick der  Prothesen der jungen Frau ausgesetzt sein, die durch einen Rock kaum zu verdecken ist.

Dabei nimmt Pavey, die zuletzt bei den Vereinten Nationen tätig war, für sich keine Sonderregelung in Anspruch und hat auch kein Problem damit, ihre Prothesen zu zeigen. Den Antrag unterstützt sie, so wie viele andere Frauen im Parlament, weil es einfach wichtigeres gibt als die Frage, was man trägt. Sie selber wird daher wohl auch in Zukunft im Rock erscheinen, wenn ihr danach ist.

Mittwoch, 14. September 2011

Fummelzug

Konya: Das spirituelle Zentrum der Türkei. Hier befindet sich das Grabmal von Mevlana, dem mystischen Dichter und Mystiker. Nicht wenige kommen um hier zu beten, um ihrer Religion ganz nah zu sein. Vereinfacht wird dies nun durch einen Schnellzug: in nur 1,5 Stunden bringt er Reisende aus der Hauptstadt Ankara in die zentralanatolische Stadt. 306 km vergehen bei einer  Höchstgeschwindigkeit von 300 km/h wie im Flug. Die Türkischen Eisenbahnbetriebe haben damit den Sprung ins 21. Jahrhundert geschafft. Zumindest, was die Geschwindigkeit und die Züge angeht.

Denn gegenüber der Tageszeitung Radikal berichtete eine Gruppe junger Männer, dass sie aufgrund einer sehr erstaunlichen Tatsache nicht in den Genuss des schnellen Zuges kamen: weil sie Männer sind. Nach langer Wartezeit erklärte man ihnen am Schalter kurzerhand, dass nur noch einzelne Plätze frei wären und die alle leider neben Damen zu vergeben seien. Also nichts für Kerle. Das müsse man schon verstehen, für die Frauen wäre es einfach nicht "angenehm", wenn sie neben Männern sitzen müssen.

Das lässt nun aber wirklich Raum für Spekulation. Warum kann eine Frau nicht neben einem Mann sitzen? Also wenn es der eigene ist, da mag man es ja noch verstehen? Man könnte zumindest Gründe erahnen. Aber fremden Männern sollte man doch wohl zugestehen, dass sie tatsächlich nur von Ankara nach Konya kommen möchten und die rasante Geschwindigkeit nicht missbrauchen wollen, um selber so richtig in Fahrt zu geraten...

Montag, 12. September 2011

Sonnenblumen


Wer jemals im Sommer durch die Türkei, beispielsweise durch Thrakien gefahren ist, der kennt sie: Die Sonnenblumenfelder. Wen der Anblick von hunderten dieser Blumen nicht glücklich macht, dem ist wohl nicht mehr zu helfen. Gelb auf Gelb bewachsen sie die Felder und drehen ihre gelben Köpfe in Richtung der Sonne.
Türken lieben es, die getrockneten Kerne geschickt mit den Zähnen zu knacken und das Innere mit der Zunge heraus zu schlecken. Sogar kleine Kinder beherrschen diese - zugegebener Maßen nicht gerade einfache - Technik.
Für die türkische Kultur haben getrocknete Sonnenblumenkerne eine geradezu herausragende Bedeutung. Je weniger Arbeit ein Stadtviertel zu bieten hat, desto mehr Sonneblumenkerne werden konsumiert. Kreisförmig sieht man noch nach Tagen die Spuren, wo immer jemand gesessen und den gesunden Snack verzehrt hat.
Übrigens: 162 Minuten am Tag verwendet der Durchschnittstürke aufs Essen allgemein: das ist weltweit Spitze! Kein Wunder, denn das Verspeisen der Sonnenblumenkerne ist eine Kunst und bis man satt ist, braucht es eine Weile...
Wie wichtig Sonnenblumenkerne für den Türken an sich sind, erkennt man aber auch aus einer Meldung erschienen bei NTV. Zum Trocknen der schwarz-weißen Knabberfreude wurde bei Bursa für einen gesamten Monat eine Umgehungsstraße gesperrt. Bis Ende September werden hier die Samen nämlich getrocknet werden. 
Die derzeitige Regierung wirbt damit, dass sie in den vergangenen neun Jahren 13.500 km Schnellstraße gebaut haben. Wir ahnen jetzt warum. 

Dienstag, 6. September 2011

Antiterror

Nachdem vor zehn Jahren ein bis dahin undenkbarer Terrorakt die Twin Tower des Wolrd Trade Centers zum Einsturz brachte, veränderte das die Welt. Die Fronten zwischen den Weltreligionen verhärteten sich und viele Länder erließen neue Gesetze, um sich besser gegen Terroristen zur Wehr setzen zu können. Insgesamt 35.117 Menschen wurden international aufgrund von Straftaten verurteilt, die als terroristische Aktionen gelten, berichtet das Onlineportal von ntv Türkei. Alleine ein Drittel davon, wer hätte es gedacht, hier zu Lande. Ohne Frage konnten die ermittelnden Behörden große Erfolge verzeichnen, was die Festnahme von Islamisten angeht. Doch die weit größere Gruppe dürfte aus Anhängern der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK bestehen.

Beispielsweise Nacide Tokova. Die Mutter von zwei Kindern wurde auf einer Demo aufgegriffen und zu sieben Jahren Haft verurteilt, weil sie ein Transparent mit der Aufschrift "Freie Führerschaft und freie Identität oder Widerstand und Rache bis zum Ende" trug. Hoffentlich hat sie ihre Haftzeit dazu genutzt lesen und schreiben zu lernen: Sonst könnte es der Analphabetin wohl wieder passieren, dass man sie wegen eines ähnliches Delikts verurteilt.

12.897 Personen wurden in den vergangenen zehn Jahren in der Türkei als Terroristen verurteilt. Das sind so viele Menschen, wie im beschaulichen Altötting leben. Doch während man sich dort um ein Abwanderung der Bevölkerung sorgt und die Gemeinde immer mehr vergreist, droht dies wohl dem türkischen Terror nicht. Das zeigt der Fall von den vielen Kindern und Jugendlichen, die auf eine Verurteilung warten, weil sie auf prokurdischen Demonstrationen aufgegriffen wurden.

Beispielsweise der Fünfzehnjährige Ö.S. Am 20. Juli 2010 soll er eine Bombe in der Nähe eines Parteibüros der Regierungspartei AKP in Diyarbakir deponiert haben. 14 Monate später, am 6. September 2011, fand die erste Anhörung in den Fall statt. Zurück in die Schule darf der Minderjährige leider nicht. Ein Antrag auf Haftentlassung wurde vom zuständigen Richter mit der Begründung abgelehnt, dass noch nicht alle Beweise zusammengetragen seien. (Bianet)
Sollte Ö.S. eines Tages aus der Haft entlassen werden, steht er vor dem Nichts: die Schule nicht beendet,  in einem Landstrich mit hoher Arbeitslosigkeit und einer Alternative: in die Berge gehen. Zumindest liegt man dort seiner Familie nicht auf der Tasche. Wie auch. Kost und Logis sind frei und das durchschnittliche Lebensalter der Guerilla beträgt 26 Jahre. Beste Kontakte in die Szene kann man wohl auch an keinem Ort so gut aufbauen, wie im Knast. Mehr als jeder zehnte Häftling in der Türkei sitzt wegen Terrorvergehen.

Eines der Lieblingsargumente der Türkei für einen Beitritt in die Europäische Union ist die junge und dynamische Bevölkerung, die Gemeinden wie Altötting frisches Blut und Steuereinnahmen bringen soll. Und sie kommen, die jungen Menschen aus der Türkei. Als Asylanten, weil man sie in ihrem Heimatland, für das sie oft sogar zu sterben bereit wären, nicht annähernd die Rechte gewährt, die jedem Menschen zustehen. Statt einer Schul- und Berufsbildung mit Knast- und Gewalterfahrung.

Schade, dass wir diese Menschen erst kennen lernen dürfen, nachdem sie vom Leben enttäuscht und gebrochen sind.

Montag, 5. September 2011

Ramadan oder Opferfest

Sieben Kilometer lang und vier Kilometer breit ist die Insel Avsa im Marmarameer. Für Türken ein beliebtes Urlaubsziel, von der Großstadt Istanbul aus in wenigen Stunden per Fähre zu erreichen und doch mit nur rund 2000 Einwohnern ein beschauliches Paradies und ideal für den Familienurlaub.

Zumindest dachte sich das eine Familie aus Bursa. Nach dem Frühstück konnte ihr einziges Kind Tugra (8) mit dem Fahrrad umherfahren. Doch an diesem einen Morgen verschwand der Junge aus Sichtweite der Eltern und nach wenigen Minuten begannen sie ihn aufgeregt zu suchen. Finden konnten sie ihn nicht, bis eine erlösende Durchsage sie zur Polizeiwache rief. Doch dort war ihr Kind nicht, auch nicht in der Krankenstation, wohin man sie verwiesen hat. Von dort aus wollte man sie ins Kreiskrankenhaus auf dem Festland schicken, doch dann fasste sich wohl jemand ein Herz und verwies an die örtliche Moschee. Dort zeigte man den entsetzten Eltern den Leichnam des Kindes: Mit hundert Sachen hatte eine junge Frau, die keine Fahrerlaubnis besitzt, das Kind überrast.

Statt zu halten, erste Hilfe zu leisten oder welche zu holen, suchten Fahrerin und Beifahrer ihr Heil in der Flucht, nachdem sie das Auto an eine Wand gesetzt hatten. Schließlich fürchtete man gelyncht zu werden. Tugra lag dort also, auf der für den Autoverkehr gesperrten Straße und wartete auf den Tod, der dann auch irgendwann nach einer Stunde eintrat.

Die Feiertage am Ende des Fastenmonats Ramadan kosten in der Türkei jedes Jahr unzählige Menschen bei Verkehrsunfällen das Leben. Eine Spritztour ans Meer löschte beispielsweise zu Beginn des Fests fast eine ganze Familie aus. Nur ein Insasse der insgesamt sieben (!) konnte schwer verletzt aus dem Pkw gerettet werden.

Neun Tage dauerte der Ramadan und damit auch das Gemetzel auf den türkischen Straßen: 168 Menschen starben und 907 wurden verletzt , lautet die offizielle Bilanz.
Ob dabei auch die fünf Personen gezählt sind, die sich in Malatya buchstäblich um die Vorfahrt prügelten (einer drohte mit einer Kalaschnikow, die er gerade bei der Hand hatte) und die von der Polizei mit Tränengas auseinander getrieben werden mussten, ist nicht bekannt.

Die Deutsche Gesellschaft für Konsumforschung war gerade zu Beginn des Sommers der Frage nachgegangen, aus welchem Land wohl die schlechtesten Autofahrer stammen. 13 % glauben, es wären die Italiener, gefolgt von 12 %, die der Meinung sind, Türken würden nicht ans Steuer gehören. Das löste eine große Diskussion aus und einhellig kam man zu dem Ergebnis, dass es einfach eine Frage sei, wie man gutes Autofahren definiere. Man könne das nicht am Einhalten von Verkehrsregeln fest machen, wie die langweiligen Deutschen.

Dementsprechend wundert es auch nicht weiter, dass gegen das Sterben auf den Straßen nichts unternommen wird. Auch die Medien stellen selten die Frage nach der Vermeidbarkeit von Unfällen. Ob Opfer angeschnallt waren, Kindersitze vorhanden waren oder am Steuer telefoniert wurde, liest  man nie. Dabei kann man überall beobachten, wie Kleinkinder auf dem Fahrersitz transportiert werden, wild gestikulierend telefoniert wird, acht Passagiere in einen Dacia Logan gepresst werden, Kinder von der Ladefläche eines Lasters winken oder auch schon mal von der Hutablage.

Die Eltern des kleinen Tugra wissen jetzt, wie man alles hätte vermeiden können. Das Fahren ohne Fahrerlaubnis in einer gesperrten Straße, die Fahrerflucht, die mangelnde medizinische Versorgung, weil in den Sommermonaten zehn Mal mehr Menschen auf der Insel sind als sie Einwohner hat... Das alles ist nicht das Problem. Statt dessen appellieren sie an alle Eltern: Kauft euren Kindern keine Fahrräder!

Donnerstag, 1. September 2011

Endlich Türkin

27.000 Euro reichen für einen neuen Volvo oder den VW Golf von Kate Middleton auf Ebay. Ca. 27.000 Hunde gibt es in München. 27.000 Tonnen Apfel ergeben 25 Millionen Liter Wein und Saft. Rund 27.000 Tage dauert ein Menschenleben.

In die türkischen Statistiken hat die 27.000 jetzt eine ganz neue Bedeutung gewonnen: Rund 27.000 (!) Fälle von häuslicher Gewalt gegen Frauen sind in den ersten sechs Monaten des Jahres 2011 bei offiziellen Stellen eingegangen, erfahren wir aus der Tageszeitung radikal. Gelistet sind dabei Mord, Körperverletzung, Beleidigung etc., also jede Art von Gewalt. 

Immer mehr Fälle werden verzeichnet und das ist erstmal - gut. Denn noch kann man davon ausgehen, dass einfach mehr Gewalttaten angezeigt werden und in die Öffentlichkeit geraten, als noch vor einigen Jahren. Denn vor allem muss ein Bewusstseinswandel her, damit die Seite drei der Tagespresse sich in Zukunft anderen Themen widmen kann. Denn zum Thema Gewalt und Frauen wird in der Türkei noch lange nicht einstimmig Stellung bezogen. 

Einen ganz erstaunlichen Grund für die schwindelerregend hohe Zahl liefert uns beispielsweise ein Psychiater namens Prof. Dr. Oguz Berksun. Der Dozent an der Ankara Universität weiß: "Frauen brauchen die Gewalt, weil sie aus der Opferrolle Kraft beziehen." Wer hätte das gedacht. Gerne würde man seine Frau fragen, welche Dosis Prügel sie wohl (nach Ansicht ihres Mannes) braucht, um so richtig in Fahrt gen Glück zu geraten? 

Die Suche nach Abhilfe gegen solch bittere Statistiken führt denn auch gern mal auf weitere Holzwege: Lütfü Senocak, seines Zeichens Leiter der Imamgewerkschaft Din-Bir-Sen beispielsweise, riet allen Ernstes, dass Frauen doch nicht sofort zur Polizei rennen sollen wenn der Mann zuschlägt. Manche Sachen sollen eben in der Familie bleiben und müssen nicht an die Öffentlichkeit getragen werden. "Sonst schadet man ja nur der Ehe". Die vorhergehenden Prügel haben der Ehe also genutzt? Ach ja, Frauen brauchen ja die Opferrolle... 

Aber wer glaubt, dass nur Männer sich in aller Öffentlichkeit zu solch kruden Themen hinreißen lassen, der irrt: Auch eine Familienberaterin namens Sibel Üresin, zeitweilig auch auf der Gehaltsliste der Stadtverwaltung, sieht das ganze entspannter. Medienecho erhielt die gläubige Muslima, nachdem sie in einer Fernsehshow feststellte, dass man die Mehrehe (wohlgemerkt natürlich nur für Männer) legalisieren solle, denn die würden ja so oder so fremd gehen. Klar, da sind mehrere Frauen bestimmt eine perfekte Lösung. 

Sie soll in Bezug auf familiäre Gewalt ebenfalls eine ausgeprägte Meinung haben. So wie man seine Kinder schlägt und dennoch liebt, so haut eben auch der Ehemann mal zu - aber das bedeutet ja nicht, dass er seine Frau nicht liebt oder wertschätzt. Nein, wohl nicht. Er hält sie nur für ein dummes, ungezogenes Kind. Wie sie darauf kommt, dass man Kinder schlagen darf hat sie uns bisher (Gott sei Dank) vorenthalten. 

Die Liste der Stimmen, die also versuchen Gewalt an Frauen zu relativieren, ist lang. So mag es auch nicht weiter verwundern, dass vor einigen Wochen eine ehemalige Deutsche, die seit Jahren in der Türkei lebt und die Staatsbürgerschaft angenommen hat, die Prügel ihres Lebensgefährten mit den Worten "Jetzt bin ich eine echte Türkin" kommentierte. 

Dienstag, 23. August 2011

Strand der Toleranz

Die Tageszeitung Radikal freute sich am 22. August über eine Moschee in Bodrum, die direkt neben einem Strand gelegen ist. "Strand der Toleranz" lautete die Schlagzeile und es werden Urlauber zitiert, die sagen, dass es ihnen gar nichts ausmacht, in der Sonne zu liegen, während in der Moschee gebetet wird. Auch der Imam hat nichts dagegen, dass Menschen Urlaub machen, so gleich bei dem Gotteshaus aus der Zeit Abdulhamit II. Wie schön.

Die Frage, die sich nun aufdrängt ist: Was ist der Nachrichtengehalt dieser Meldung? Was eigentlich selbstverständlich sein sollte (noch dazu in einem Land, das sich als laizistisch bezeichnet und das die Einkommen aus dem Tourismus so nötig hat wie die Türkei) taugt zur Meldung in einer nicht unbedeutenden Tageszeitung.

Natürlich drängt sich der Verdacht auf, dass saure Gurken Zeit herrscht - doch davon kann in der Türkei gerade keine Rede sein:  Der Generalstab ist nahezu geschlossen zurück getreten, der Krieg im Südosten ist wieder neu entflammt, eine Verfassung soll nach den bevorstehenden Feiertagen ausgehandelt werden und Mammutprozesse, bei denen ranghohe Militärs und Journalisten jeder Coleur verhandelt werden, polarisieren so stark, dass man damit nicht nur Zeitungen, sondern auch Bücher füllen könnte.

Warum also lesen wir, dass Moschee und Strand friedlich nebeneinander koexistieren können (immerhin wird man den Strand auch nicht nehmen und wegtragen können...). Will uns die "Radikal" zeigen, dass es mit der Meinungsfreiheit in der Türkei so schlecht bestellt ist, dass man sogar für eine solche Lappalie schon dankbar sein sollte? Oder will sie nur Menschen wie mich und andere brave Stammleser irritieren und auf die Barrikaden rufen, damit wir uns dagegen auflehnen, wenn wir für dieses eingeschränkte Freiheitsverständnis applaudieren sollen? Oder ist diese Zeitung wirklich davon überzeugt ein geglücktes Beispiel für die Koexistenz von - ja was eigentlich - Menschen (?) gefunden zu haben.

Vielleicht fühlte man sich aber auch durch Meldungen und Kommentare anderer Gesinnung, die sich in den letzten Wochen zu häufen scheinen, bemüßigt "positives" zu berichten. So hat sich ein Jahre währender Streit zwischen einem alteingesessenen Bordell und einer neu gebauten Moschee in Antalya nun entschieden: Das Freudenhaus räumte (nicht ganz freiwillig) das Feld. Denn gläubige Muslime fürchten, dass ihr Gebet nicht angenommen wird, falls sie es zu nah bei den leichten Mädchen tätigen.... "Wie soll man seiner Tochter erklären, was sich hinter der hohen Mauer und den verschlossenen Türen verbirgt" fragte ein besorgter Anwohner in einem Zeitungsbericht. "Kind, ich war noch nicht drin" oder "Das verrate ich dann mal deinem Bruder" oder "Ein Bordell" wären mögliche Antworten. Als Lösung lieber das ganze "Problem" verschwinden zu lassen scheint mir jedoch nicht nachhaltig.

Kommentatoren aus dem islamischen Spektrum delektierten ihre Leser in jüngster Zeit mit Diskussionen darüber, ob man Nichtmuslime "tolerieren" oder "ertragen" müsse und der wissbegierige Leser wurde aufgeklärt, dass es an Sünde grenzt, wenn man Ungläubige in ihrem Treiben einfach so sich selber überlässt und es schlichtweg am besten wäre, man würde alle, die nicht dem richtigen Glauben angehören, einfach von den Gläubigen weg sperren. Ungläubig muss ich bei einem Herrn Karaman lesen, dass man mich von der islamischen Gesellschaft fern halten und an "besondere Orte" schicken könne. Man muss es eben nicht ertragen oder gar tolerieren, wenn die Gottlosen ihrem satanischen Werk vor der eigenen Haustür frönen. Ob meine Nachbarn auch so denken?

Also verneigen wir uns in Dankbarkeit, dass wir die Freuden, die uns Mutter Natur in Form eines Strandes gewährt, noch genießen dürfen. Und plötzlich fällt der Groschen: es ist der Strand der "Toleranz" - "selbstverständlich" ist das nicht mehr...

Freitag, 19. August 2011

Im Unglück vereint

Die Hamburger Stiftung für Zukunftsfragen hat herausgefunden, dass 96% der Dänen mit ihrem Leben zufrieden sind. Im Durchschnitt trifft das auf 68 % der Europäer zu. Erfreulich ist, dass sich Türken und Deutsche mal einig sind: Beide Völker sind nur zu 61% zufrieden. Da haben wir doch endlich etwas, auf dem wir eine Völkerverständigung aufbauen können: Dem Miesepeter gesellen wir den Trauerali dazu und bestimmt können die beiden sich hervorragend verständigen. Wir müssen nur hoffen, dass sie sich nicht gegenseitig für ihr Unglück verantwortlich machen...

Donnerstag, 18. August 2011

Wie gefährlich ist die Schlange

Heute fand ich auf Seite 3 der Hürriyet eine bemerkenswerte Kurzmeldung. In knappen Sätzen wird hier berichtet, dass ein Dreizehnjähriger in Sanliurfa versehentlich statt einer Schlange im Garten seine schwangere Nachbarin erlegt hat und außerdem seine Schwester verletzt.
Nicht eingegangen wird auf die Frage, wie ein Kind an eine Schusswaffe gerät und warum ein immerhin nicht mehr ganz kleiner Jugendlicher meint, dass das Erlegen von Schlangen mit Schrotflinten eine gute Idee sei.
Dabei geht die stiftung umut sogar davon aus, dass jährlich 3000 (!) Menschen in der Türkei durch Schusswaffen sterben. 700 davon aus Versehen. Da werden Ehefrauen erschossen, Kinder durch Freudenschüsse auf Hochzeiten oder nach Fußballspielen tödlich getroffen oder eben auch mal eine Nachbarin, die zu nah bei einer Schlange stand. In jedem dritten Haushalt gibt es eine Waffe und jeder Zehnte ist bewaffnet. 80% der Waffen sollen griffbereit sein: Im Halfter, im Auto, unter dem Kopfkissen oder in der Schublade.
Aber anscheinend muss man sich in der Türkei noch wehren: Gegen Bären, Schlangen, Angreifer, Feinde... Interessant wäre es zu wissen, wie viele Menschen ihr Leben tatsächlich durch Waffengebrauch retten konnten und wie viele der 3000 (zugegeben eine unwahrscheinlich hohe Zahl) gar nicht in Gefahr gewesen wären, hätte es die Waffen nicht gegeben...
Änderungen der Waffengesetze werden zwar immer wieder diskutiert, aber einen sinnvollen Konsens findet man nicht. Skurril war einst der Vorschlag, dass man die Genehmigung der Ehefrau einholen müsse, um einen Waffenschein zu bekommen. Nicht schlecht, die kann ihren Mann womöglich am besten einschätzen und ahnt sicher, ob irgendwann sie selbst in den Lauf der Flinte blicken wird, oder doch tatsächlich ein Braunbär, der sich in die Innenstadt von Istanbul verirrt hat...
Aber nicht einmal ein Heraufsetzen des Waffenalters auf 24 scheint möglich, wir wollen ja gerade unsere Jüngsten nicht schutzlos der Natur ausliefern.
So wird wohl alles bleiben, wie es ist. Wenn ein Dreizehnjähriger aus Versehen eine Familie zerstört, dann ist das eine Kurzmeldung auf Seite 3 und am 28. September wird von der Stiftung Umut wie jedes Jahr eine spektakuläre Aktion stattfinden, um auf die Opfer aufmerksam zu machen...

Mittwoch, 17. August 2011

Drei muss sein

Der türkische Premierminister fragt jede Frau, die er trifft, wie viele Kinder sie hat. Denn anscheinend ist er mit seinen drei Kindern so glücklich, dass er ebenjenes Glück auch jedem anderen Paar wünscht. Also verkündet er zu jeder passenden und möglicherweise auch unpassenden Gelegenheit, dass jede Familie mindestens drei Kinder in die Welt setzen sollte.
Würde er vor mir stehen, würde ich folgende Fragen sicher nicht stellen (weil ich zu feige oder zu verdattert oder beides wäre):
-Wäre das nicht Gift für die weltweite Überbevölkerung?
- Wie in Gottes oder Allahs Namen soll man drei Kinder in Istanbul finanzieren?
- Wie schaffe ich es mit drei Kindern einen öffentlichen Bus zu besteigen?
- Wie schaffe ich einen Wocheneinkauf für eine fünfköpfige Familie? Und ich rede nur von der Logistik, nicht von den Kosten?
- Wie kann man in einem Land, in dem Barrierefreiheit ein Fremdwort ist, eine solche Forderung stellen?

Istanbul ist eine Metropole, die in alle Richtungen wächst. Wo gestern noch ein kleines Häuschen stand oder ein paar Hühner im Dreck scharrten, stehen heute Wohnkomplexe, Hochhäuser und unendliche Betonwüste. Beim Wachstum der Stadt scheint niemand an das wichtigste Kapital der Menschheit überhaupt zu denken: Harmonie zwischen Mensch und Natur. Für die so heiß begehrten Kinder gibt es schon lange keinen Raum mehr: Spielplätze sind günstigstenfalls Todesfallen, normalerweise aber sowieso Mangelware. Man hört hysterische Eltern ihren Nachwuchs anbrüllen - wo kein Platz für Kinder ist, da liegen auch schnell die Nerven der Eltern blos.
Aber auch Sportkurse, gesunde Ernährung, ja sogar ein kleiner Platz zum Fahrrad fahren zählt schon - zumindest in Istanbul - zu den unerreichbaren Luxusgütern.

Da erstaunt es kaum noch, dass kaum eine türkische Mutter oder Vater Freude daran hat Kinder groß zu ziehen: Schwer ist es, anstrengend, mühsam... Fast könnte man meinen, dass die überforderten Eltern es nicht freiwillig tun. Quasi dem Premierminister erst ihre Stimme erteilen und dann unter seinen Vorgaben leiden...?

Noch erstaunlicher ist es, dass wenn man für all die geforderten Kinder schon weder Platz noch Raum einräumt, dass man sich auch so wenig Mühe zu geben scheint, dass sie ein gewisses Alter erreichen. Jedes Jahr sterben mehrere Kinder in Schulen: Sie fallen aus dem Fenster, sie werden in automatischen Türen zerquetscht oder von Waschbecken erschlagen. Natürlich nur, falls sie den Schulweg überleben. Denn wo Autos und Verkaufsstände den Gehweg blockieren laufen ABC-Schützen direkt auf der Straße. "Wir mögen den Onkel sehr gern und vertrauen ihm" giftete mich einst eine Kindergärtnerin an, weil ich nicht bereit war, meine dreijährige Tochter unangeschnallt und mit sechs weiteren Kleinkindern in einem Pkw transportieren zu lassen.
 Kindersitze, zumindest in Pkw, sind zwar seit einigen Monaten offiziell Pflicht - aber da dies die Anzahl der Passagiere, die man in einen Kleinwagen pressen kann, doch erheblich reduziert, in den meisten Familienfahrzeugen Mangelware. Dennoch wird in den Medien nicht erwähnt, ob Verkehrsopfer - vor allem Kinder - angeschnallt waren oder nicht. Statt dessen frohlocken die Zeitungen "wie vielen anderen Kindern Leben geschenkt wurde", wenn ein Kind auf so tragische Art und Weise das Leben verliert.

Das legt den Verdacht nahe, dass die drei Kinder nicht zuletzt deswegen gefordert sind, weil einfach zu viel "Schwund" besteht...

Fern ab der Konsumwüste


Faszinierend ist immer wieder das Stadtviertel Eminönü und die daran angrenzenden Bezirke. Hier schlägt das Handelsherz der Metropole so nah am Menschen, dass man mit jedem Atemzug spürt, wie es pulsiert. Dabei kreuzen sich hier die Wege der Touristen mit denen der einfachen Händler wie kaum sonst irgendwo in der Stadt. Während die Route vom Goldenen Horn und den Brücken vorbei an vielen Sehenswürdigkeiten bis zum Großen Bazar und der Hagia Sophia, dem Topkapi Palast und dem Hippodrom führt und damit zu scharen Touristen anzieht, die bereit sind ihr Geld in billige Souvenirs, Schals, Porzellan und "Turkish Viagra" zu investieren, besteht parallel dazu eine ganz andere, eigene Welt.
Da gibt es beispielsweise den Kaffeeröster Mehmet Efendi, der bereits seit 1871 Kaffee röstet und mahlt, man findet ihn einfach immer der Nase nach...

Oder das Mahpuccular Han: Ein Paradies für kreative. Hier findet man jede Art von Perle, Anhänger, Bändchen, Verschluss, Kette und was noch immer gerade benötigt werden kann, um Schmuck nach alter oder neuer Mode zu fädeln. Wer einen der unscheinbaren Eingänge in das Geschäftshaus entdeckt hat, wird mit Läden auf fünf Stockwerken überrascht, die eine Vielfalt bieten, wie man sie sich in den kühnsten Träumen kaum vorstellen mag.

Dann wäre da die Dogu Bank. Ein Geschäftshaus, dass sich - ebenfalls hinter einem unscheinbaren, doch sehr belebten Eingang -  auf elektronische Artikel konzentriert. Sei es ein Rasierapparat, ein Drucker, eine Kamera oder ein neues I-Phone (möglicherweise auch nur ein Telefon, das letzterem zum Verwechseln ähnlich sieht), alles kann man hier finden. Und wer fürchtet in diesem Treiben unter zu gehen, der irrt: Die Händler sind oft alt eingesessen, erinnern sich an Stammkunden und gewähren sogar auf den billigsten MP3 Spieler noch Garantie: natürlich auch ohne den Kassenzettel, den den gibt es nicht unbedingt zum Kaufgeschäft dazu. Unter Ehrenmännern sollte ein Händedruck reichen.

Oder das Sark Is Hani - hier kommen die Waren aus Südosten an. Stockwerk um Stockwerk drängeln sich Läden mit Kleidung, Elektroartikeln, Deko, Schmuck, Tüchern, sogar Möbeln und Porzellan. Hier sind Groß- und Einzelhändler nebeneinander und wer hier heraus kommt, ohne etwas gekauft zu haben,  kann nur von der Fülle des Angebots erschlagen gewesen sein.

Traurig hingegen ist der Tiermarkt, gleich neben dem ägyptischen Bazar. Hier fristen Hühner, Hamster, Tauben, Schildkröten, Katzen und Hunde ein trauriges Dasein in viel zu engen Käfigen. Auch Futter, Pflanzen, Saatgut und Aquarien werden feil geboten, dazu noch Blutegel und Kräuter, die als Hausmittelchen angepriesen werden. Tierschutzgesetzte sollten eigentlich auch hier greifen, doch der Handel mit kränklichen Rassekatzen scheint lukrativ zu sein. Denn so hart es klingt: Wenn das Tier eingeht, dann gilt auch hier das "Umtauschrecht": Immerhin sind die Tiere ja nicht gerade günstig.

Die Liste ließe sich noch ewig fort setzen. Denn im Straßengewühl zwischen Goldenem Horn und Großen Bazar gibt es unzählige Läden, Karawansereien, Geschäftshäuser, Stände und Händler. Was man hier nicht findet, das gibt es schlicht nicht oder kann es schlicht nicht geben. Während Touristen häufig die unscheinbaren Eingänge übersehen und nicht ahnen, welche geheimen Welten sich hinter den Toren verbergen, scheinen die Einheimischen oft zu sehr im Alltag gefangen, als dass sie noch merken können, welchen Schatz sie hinter bröckelnden Fassaden bewahren...

Dienstag, 16. August 2011

Vorsicht Mädchen

Wer glaubt, dass es einfach ist einen Artikel zu schreiben, der möge es selber versuchen und erkennen: Da kann man so viel falsch machen! Dieses Licht mag auch dem Autoren einer kurzen Meldung in der Tageszeitung "Takvim" aufgegangen sein, als ein Aufschrei durch den Blätterwald ging, nachdem folgende Zeilen unter der Überschrift "Vorsicht vor diesem Mädchen" bereits im April 2010 veröffentlicht wurden:

"Die zwölfjährige D.K. aus Samsun riss ständig von Zuhause oder aus dem Heim, in dem sie untergebracht war, aus. Das Mädchen soll freiwillig Geschlechtsverkehr mit verschiedenen Personen eingegangen sein und dadurch verschuldet haben, dass viele Menschen ins Gefängnis kamen. Diesmal war D.K. und ihre fünfzehnjährige Freundin N.K. Grund für die Verhaftung von zwei weiteren Personen". 

Dieser gefährlichen Mädchengang sollte man natürlich so schnell wie möglich das Handwerk legen, bevor noch weitere unschuldige Kinderschänder ins Gefängnis wandern! 

Wenn mal der Heuwagen brennt...

Aufmerksam muss der Fahrer des völlig überladenen Heuwagens ja gewesen sein, denn immerhin bemerkte er, dass seine Ladung Feuer gefangen hatte. Ebenso umsichtig fand er die Idee, dass er einfach weiter fuhr: Die Feuerwehrstation war ja nur ein paar Straßen weiter! Dort dankte man ihm bestimmt, dass man nicht extra ausrücken musste, nur weil ein paar wertlose Ballen Tierfutter brannten.
Sicher geflucht haben aber wohl die Fahrzeugbesitzer die ihre Autos am Wegrand geparkt hatten. Mit Gartenschläuchen bemühten sie sich ihre brennenden Autos zu löschen, nachdem brennendes Stroh darauf gefallen war, berichtete heute die Tageszeitung Vatan.
Vatan: Brennender Heuwagen


 
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