Mittwoch, 17. August 2011

Drei muss sein

Der türkische Premierminister fragt jede Frau, die er trifft, wie viele Kinder sie hat. Denn anscheinend ist er mit seinen drei Kindern so glücklich, dass er ebenjenes Glück auch jedem anderen Paar wünscht. Also verkündet er zu jeder passenden und möglicherweise auch unpassenden Gelegenheit, dass jede Familie mindestens drei Kinder in die Welt setzen sollte.
Würde er vor mir stehen, würde ich folgende Fragen sicher nicht stellen (weil ich zu feige oder zu verdattert oder beides wäre):
-Wäre das nicht Gift für die weltweite Überbevölkerung?
- Wie in Gottes oder Allahs Namen soll man drei Kinder in Istanbul finanzieren?
- Wie schaffe ich es mit drei Kindern einen öffentlichen Bus zu besteigen?
- Wie schaffe ich einen Wocheneinkauf für eine fünfköpfige Familie? Und ich rede nur von der Logistik, nicht von den Kosten?
- Wie kann man in einem Land, in dem Barrierefreiheit ein Fremdwort ist, eine solche Forderung stellen?

Istanbul ist eine Metropole, die in alle Richtungen wächst. Wo gestern noch ein kleines Häuschen stand oder ein paar Hühner im Dreck scharrten, stehen heute Wohnkomplexe, Hochhäuser und unendliche Betonwüste. Beim Wachstum der Stadt scheint niemand an das wichtigste Kapital der Menschheit überhaupt zu denken: Harmonie zwischen Mensch und Natur. Für die so heiß begehrten Kinder gibt es schon lange keinen Raum mehr: Spielplätze sind günstigstenfalls Todesfallen, normalerweise aber sowieso Mangelware. Man hört hysterische Eltern ihren Nachwuchs anbrüllen - wo kein Platz für Kinder ist, da liegen auch schnell die Nerven der Eltern blos.
Aber auch Sportkurse, gesunde Ernährung, ja sogar ein kleiner Platz zum Fahrrad fahren zählt schon - zumindest in Istanbul - zu den unerreichbaren Luxusgütern.

Da erstaunt es kaum noch, dass kaum eine türkische Mutter oder Vater Freude daran hat Kinder groß zu ziehen: Schwer ist es, anstrengend, mühsam... Fast könnte man meinen, dass die überforderten Eltern es nicht freiwillig tun. Quasi dem Premierminister erst ihre Stimme erteilen und dann unter seinen Vorgaben leiden...?

Noch erstaunlicher ist es, dass wenn man für all die geforderten Kinder schon weder Platz noch Raum einräumt, dass man sich auch so wenig Mühe zu geben scheint, dass sie ein gewisses Alter erreichen. Jedes Jahr sterben mehrere Kinder in Schulen: Sie fallen aus dem Fenster, sie werden in automatischen Türen zerquetscht oder von Waschbecken erschlagen. Natürlich nur, falls sie den Schulweg überleben. Denn wo Autos und Verkaufsstände den Gehweg blockieren laufen ABC-Schützen direkt auf der Straße. "Wir mögen den Onkel sehr gern und vertrauen ihm" giftete mich einst eine Kindergärtnerin an, weil ich nicht bereit war, meine dreijährige Tochter unangeschnallt und mit sechs weiteren Kleinkindern in einem Pkw transportieren zu lassen.
 Kindersitze, zumindest in Pkw, sind zwar seit einigen Monaten offiziell Pflicht - aber da dies die Anzahl der Passagiere, die man in einen Kleinwagen pressen kann, doch erheblich reduziert, in den meisten Familienfahrzeugen Mangelware. Dennoch wird in den Medien nicht erwähnt, ob Verkehrsopfer - vor allem Kinder - angeschnallt waren oder nicht. Statt dessen frohlocken die Zeitungen "wie vielen anderen Kindern Leben geschenkt wurde", wenn ein Kind auf so tragische Art und Weise das Leben verliert.

Das legt den Verdacht nahe, dass die drei Kinder nicht zuletzt deswegen gefordert sind, weil einfach zu viel "Schwund" besteht...

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