Donnerstag, 1. September 2011

Endlich Türkin

27.000 Euro reichen für einen neuen Volvo oder den VW Golf von Kate Middleton auf Ebay. Ca. 27.000 Hunde gibt es in München. 27.000 Tonnen Apfel ergeben 25 Millionen Liter Wein und Saft. Rund 27.000 Tage dauert ein Menschenleben.

In die türkischen Statistiken hat die 27.000 jetzt eine ganz neue Bedeutung gewonnen: Rund 27.000 (!) Fälle von häuslicher Gewalt gegen Frauen sind in den ersten sechs Monaten des Jahres 2011 bei offiziellen Stellen eingegangen, erfahren wir aus der Tageszeitung radikal. Gelistet sind dabei Mord, Körperverletzung, Beleidigung etc., also jede Art von Gewalt. 

Immer mehr Fälle werden verzeichnet und das ist erstmal - gut. Denn noch kann man davon ausgehen, dass einfach mehr Gewalttaten angezeigt werden und in die Öffentlichkeit geraten, als noch vor einigen Jahren. Denn vor allem muss ein Bewusstseinswandel her, damit die Seite drei der Tagespresse sich in Zukunft anderen Themen widmen kann. Denn zum Thema Gewalt und Frauen wird in der Türkei noch lange nicht einstimmig Stellung bezogen. 

Einen ganz erstaunlichen Grund für die schwindelerregend hohe Zahl liefert uns beispielsweise ein Psychiater namens Prof. Dr. Oguz Berksun. Der Dozent an der Ankara Universität weiß: "Frauen brauchen die Gewalt, weil sie aus der Opferrolle Kraft beziehen." Wer hätte das gedacht. Gerne würde man seine Frau fragen, welche Dosis Prügel sie wohl (nach Ansicht ihres Mannes) braucht, um so richtig in Fahrt gen Glück zu geraten? 

Die Suche nach Abhilfe gegen solch bittere Statistiken führt denn auch gern mal auf weitere Holzwege: Lütfü Senocak, seines Zeichens Leiter der Imamgewerkschaft Din-Bir-Sen beispielsweise, riet allen Ernstes, dass Frauen doch nicht sofort zur Polizei rennen sollen wenn der Mann zuschlägt. Manche Sachen sollen eben in der Familie bleiben und müssen nicht an die Öffentlichkeit getragen werden. "Sonst schadet man ja nur der Ehe". Die vorhergehenden Prügel haben der Ehe also genutzt? Ach ja, Frauen brauchen ja die Opferrolle... 

Aber wer glaubt, dass nur Männer sich in aller Öffentlichkeit zu solch kruden Themen hinreißen lassen, der irrt: Auch eine Familienberaterin namens Sibel Üresin, zeitweilig auch auf der Gehaltsliste der Stadtverwaltung, sieht das ganze entspannter. Medienecho erhielt die gläubige Muslima, nachdem sie in einer Fernsehshow feststellte, dass man die Mehrehe (wohlgemerkt natürlich nur für Männer) legalisieren solle, denn die würden ja so oder so fremd gehen. Klar, da sind mehrere Frauen bestimmt eine perfekte Lösung. 

Sie soll in Bezug auf familiäre Gewalt ebenfalls eine ausgeprägte Meinung haben. So wie man seine Kinder schlägt und dennoch liebt, so haut eben auch der Ehemann mal zu - aber das bedeutet ja nicht, dass er seine Frau nicht liebt oder wertschätzt. Nein, wohl nicht. Er hält sie nur für ein dummes, ungezogenes Kind. Wie sie darauf kommt, dass man Kinder schlagen darf hat sie uns bisher (Gott sei Dank) vorenthalten. 

Die Liste der Stimmen, die also versuchen Gewalt an Frauen zu relativieren, ist lang. So mag es auch nicht weiter verwundern, dass vor einigen Wochen eine ehemalige Deutsche, die seit Jahren in der Türkei lebt und die Staatsbürgerschaft angenommen hat, die Prügel ihres Lebensgefährten mit den Worten "Jetzt bin ich eine echte Türkin" kommentierte. 

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