Montag, 7. November 2011

Die Hoffnung stirbt zu letzt

Es war ein kleiner Hoffnungsschimmer für alle Hammel, Schafe und Rinder: Die Feierlichkeiten zum Tag der Republik am 29. Oktober wurden abgesagt, nachdem ein schweres Erdbeben die südostanatolische Stadt Van heimgesucht hatte. Für echte "Republikaner", sprich die parlamentarische Opposition, war dies ein beinahe noch schlimmeres Beben, wenngleich auf ideeller Ebene. Immerhin hatte man nicht einmal kurz nach dem Tode von Republikgründer Atatürk die feierlichen Paraden abgesagt. Auch nicht während des Zweiten Weltkrieges.  CHP-Chef Kilicdaroglu, aufgrund seines Postens selbsternannte oberste Instanz in Fragen bezüglich Republik und Atatürk, belehrt die Regierung, dass es dieser wohl an Verständnis mangele, was besagte Republik ausmache.

Als nun an diesem Wochenende das religiöse Opfer begangen wurde, hatten neben vielen betroffenen Schafen, Ziegen und Rindern auch die wenigen Veganer in der Türkei Hoffnung, dass auch dieses abgesagt würde. Die vegane politische Bewegung formiert sich gerade erst, die Zahl der Mitglieder ist noch überschaubar, aber es gibt bereits das erste vegane Restaurant der Stadt: Loving Hut. An 1. November, als also bereits die ersten Opfertiere in den Zeltstädten eingetroffen waren, begingen sie den internationalen Welt-Vegan-Tag. Neben Kurzmeldungen in einigen wenigen unabhängigen Medien wird man aber höchstens durch erboste Muslime auf die friedvollen Gutmenschen aufmerksam, die glauben, statt Tiere zu schlachten, könne man auch einfach so Gutes tun und so seiner religiösen Pflicht nachkommen.

Diejenigen, die solch abtrünnigem Gedankengut Koransuren entgegen setzen und alle anderen auch, begingen das rituelle Opferfest wie gehabt: Tausende Tiere wurden auf offener Straße, in Garagen oder an den dafür extra eingerichteten Schlachtplätzen geschächtet. Fast 2000 Menschen wurden mit Verletzungen in die Notaufnahmen gebracht - den Hobbyschlachern mangelt es wohl an Routine und neben mindestens 15 abgetrennten Gliedmaßen gab es jede Menge Schnittverletzungen. Durch die Straßen und Supermärkte rasten wild gewordene Rindviecher, die ihren Besitzern entkommen waren. Und die Wasser des Bosporus färbten sich stellenweise rot vom Blut der Tiere, die nicht ordnungsgemäß an dafür vorgesehenen Plätzen geschlachtet wurden.

Auch Oppositionschef Kilicdaroglu opferte ein Rind und ließ es an die Menschen in Van, die durch das Erdeben ihr Hab und Gut verloren haben, verteilen. Ein Gutes hat die Geschichte also doch: Während die Feiertage der Republik die Fronten in der Regierung nicht mehr einen können, scheint das gemeinsame - wenn auch blutige -  Ritual dies zu schaffen. Und die Kühe? Die beißen weiter ins Gras. 

Freitag, 4. November 2011

Bloß nicht hinsehen

Google weiss, wer sich für Kinderporno interessiert. Die meisten Suchanfragen zu diesem Begriff sollen aus der Türkei stammen. Als diese Meldung das erste Mal durch die Medien gurkte, waren der damalige Innenminister Aksu und der Premier Erdogan entsetzt und versprachen Maßnahmen um die Pornographie mit Kindern zu bekämpfen, wo es nur geht.

Doch heute interessiert die Öffentlichkeit ein anderer Fall. Schon frühzeitig muss das Leben von N.C. aus der Bahn geraten sein. Der Tag, an dem sie das erste Mal an einen fremden Mann verkauft wurde, der ihr Vater hätte sein können, war sicher nur der traurige Höhepunkt einer tragischen Kindheit. Noch 25 Männer sollten folgen: rechtschaffende Bürger der Stadt Mersin, ihrem Heimatort im Südosten der Türkei. Lehrer, Beamte, Handwerker, Soldaten. Alles dabei. 

Aber dann nimmt das Leben von N.C. eine Wende und mit Hilfe eines Pfichtverteidigers kann sie ihre Peiniger anzeigen. Denn laut Ausweis ist das Mädchen erst 12 Jahre alt. Die staatliche Jugendhilfe nimmt sich ihrer an, bringt sie nach Istanbul, stellt ihr eine Anwältin zur Seite. Bis sie 18 wird - dann ist diese nicht mehr zuständig. Langsam, wie die Mühlen der Justiz häufig malen, ist das vor einem endgültigen Urteil. Doch noch immer hat N.C. ein bisschen Glück. Zu diesem Zeitpunkt dürften die Narben der vier Operationen, die sie benötigt hat um wieder sitzen zu können, verheilt sein und es finden sich Anwälte und Vereine, die sich ihrer annehmen. 

Der Schock war das erste Urteil: Milde ließ man den Männern gewähren. Denn man ging davon aus, dass das Kind "einvernehmlichen Sex" gehabt hatte. Und natürlich möchte man das Leben von ehrenwerten Bürgern nicht ruinieren. 

Was man einem Bezirksgericht in Mardin noch verzeihen mag, bestätigte nun der Oberste Gerichtshof der Türkei. Trotz massiver Kritik steht der vorsitzende Richter Fevzi Elmas hinter seinem Urteil und erklärt "Mit Wehgeschrei kann man das nicht ändern". Die Milde, die angewendet wurde, rechnet er damit vor, dass das Knochenalter des Opfers auf 14 Jahre berechnet wurde. Also fast 15! Und dann - dann ist alles nicht mehr so schlimm. Dann kann sie anscheinend entscheiden, dass sie sich von 26 Männern, die ihre Väter oder Großväter hätten sein können, vergewaltigen lassen möchte.  Sieh mal an. 

Wer ein Kind vergewaltigt, der findet schnell ein Schlupfloch. Sei es das "Einverständnis" oder auch die spätere "Ehe". Doch der Ansatz der Pornographie ist ein guter: Das Zusehen sollte ebenso bestraft werden. Und hier reden wir nicht nur von Zelluloid. 


Dienstag, 1. November 2011

Beethoven kontra Quietscheentchen


Eine ziemlich bunte Raupe dudelt "Freude schöner Götterfunken", während mein begeistertes Kleinkind dazu  tanzt.
Mich erinnert das an ein sehr denkwürdiges Gespräch mit einem türkischen Spielwarenhändler, vor vielen, vielen Jahren, als meine jetzt schon recht große Tochter noch sehr klein war. Überzeugt davon, dass ein Kind nicht ohne Spieluhr groß werden könne, verlangte ich nach "einem Kuscheltier, das Musik spielt". Der Verkäufer zögerte nur kurz, dann bot er mir ein gelbes Quietscheentchen an und quetschte es gleich neben meinem Ohr.  Staunend gab ich zu bedenken, dass die Ente nur quakt, nicht aber wie gewünscht Musik spielt. Auch mangelte es an der Eigenschaft "kuschelig weich". Daraufhin belehrte mich der Verkäufer: "Aber ein so kleines Kind bemerkt doch den Unterschied gar nicht!" Da hat er zwar womöglich recht, doch ohne ihn darauf hinzuweisen, dass es darum ginge eben diesen Unterschied zu lernen, verließ ich den Laden.
Eine Spieluhr habe ich damals übrigens in der gesamten Stadt nicht gefunden. Aber das ist womöglich nicht so schlimm: Wir haben mittlerweile unzählige in jeder erdenklichen Form und Farbe. Da man Kinder im Land der Dichter und Denker (und Komponisten!)  anscheinend ja nicht ohne groß ziehen kann, bekamen wir von dort eine ganze dudelnde Armee von Spieluhren von Tanten, Verwandten und Freunden zu den verschiedensten Anlässen geschenkt. 
Inzwischen hat auch der Türkische Kulturminister Ertugrul Günay musikalischen Nachholbedarf erkannt und versucht diesen Mängel schnellstmöglich zu beheben. Abhilfe hofft er dadurch zu finden, dass er das Staatliche Symphonieorchester auf Tour durch die abgelegenen Ecken Anatoliens schickt. Der Orchesterleiter Kenan Gökkaya freut sich, dass sie mit ihrem Bus über Land fahren und „die in den Dörfern versteckten Beethovens, Pavarottis, Mozarts und Asik Veysels“ entdecken werden. Für die Zukunft hofft er sogar auf eine „Musikhotline“: Neben 155 für die Polizei, 156 für die Gendarmerie und 110 für die Feuerwehr könnte man dann, vielleicht unter 123, eine Kunsthotline erreichen und so die Liebe zur klassischen Musik bis ins tiefste Anatolien tragen. 
Mein Kleinkind mag am liebsten Beethoven aus dem Wurm und natürlich: Sein Quietscheentchen. Es lebt im Bad. 

 
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