Montag, 26. September 2011

East meets West

Zehn Jahre Gewalt, Prügel und sogar Verletzungen mit dem Messer hatte Aysel A.  hinter sich, als sie sich mit Veilchen am Auge, ihrer kleinen Tochter an der einen und einem Koffer in der anderen Hand an die Staatsanwaltschaft Ankara wendete. Diesmal hatte ihr Mann angekündigt sie zu töten. Versucht hatte er das bereits zuvor: vor einigen Jahren stand er vor Gericht, weil er Aysel mit dem Messer verletzt hatte. Doch weil sie in letzter Sekunde die Anzeige zurück gezogen hatte, ging er straffrei aus.
Diesmal sollte es anders sein, diesmal wollte sie Schutz. Sie war es leid das schwer verdiente Geld bei ihm abzugeben und geprügelt zu werden, wenn sie sich weigerte. Womöglich war sie vieles andere auch noch leid, was ihr dabei half, die Schwelle zu überwinden. Um so schlimmer muss es für sie gewesen sein, als man sie abwies: weil sie keinen offiziellen Trauschein vorweisen könne, sondern nur eine vor dem Imam getraute Ehe führe, schickt man sie zurück. Mit ihr wurde auch die vierjährige Tochter zurückgeschickt.

Auf der Internetseite www.darisibasina.com erfahren wir mehr darüber, was man sich unter dieser Imam- Ehe so vorstellen kann. Hier wird sie als das natürliche Recht eines jeden Muslimen beschrieben, das vom Westen mit seinen unnatürlichen Gesetzen beschnitten wird. Es wird betont, dass es zum muslimischen Kultur gehört, diese Form der Ehe, die übrigens mit bis zu vier Frauen geschlossen werden kann, zu führen. Und außerdem ist es ein Schutz der Frau und aus Respekt heiratet man sie - nicht wie im Westen, wo die Männer sich verantwortungslos vergnügen.
Offiziell sind die Zweitfrauen allerdings nicht anerkannt in der Türkei, obwohl es weit über 100.000 sein sollen. Aber wer weiss das schon genau  - Belege lassen sich schwer finden. Vor allem im Südosten sollen sie vorkommen. Denn Ehefrauen sind dort kostenlose Arbeitskräfte und männliche Nachkommen ein Muss: notfalls lässt man sie eben von der Zweitfrau gebären. Aber zu glauben, dass es dieses Phänomen nur im "wilden Kurdistan" gibt, wäre falsch. Vor einigen Jahren geisterte ein Bericht durch die Medien, dass ein Berater des Ministerpräsidenten und ehemaliger Vertreter von Milli Görüs in Deutschland ebenfalls mehr als eine Ehefrau habe. Nachdem dies heiße Diskussionen losgetreten hatte, passierte: nichts.

Es gibt wohl kaum jemanden, für den die Kluft zwischen West und Ost so weit klafft, wie für die vor dem Imam getrauten Frauen. Offiziell gelten ihre Ehen nicht und sie können weder von der Familienversicherung profitieren, noch von der Rente,  noch können sie sich scheiden lassen, noch haben sie häufig Recht auf ihre Kinder. Im Fall von Zweitfrauen werden diese meist sowieso auf den Namen der Erstfrau eingetragen. Das bedeutet aber auch, dass frau sie nie besuchen kann, falls das Leben die Kinder ins Ausland verschlägt (immerhin nicht selten bei einem so migrationsfreudigen ehemaligen Nomadenvolk).

Es bedeutet eben auch, dass man keinen Schutz vor einem prügelnden Mann hat, wie wir jetzt gelernt haben. Heißt es jetzt im Fall von Aysel, dass sie ihren Peiniger ehelichen sollte? Eher nein: Die Liste der Frauen, die einen Trauschein besaßen und dennoch bei Polizei, Staatsanwaltschaft und Behörden keinen Schutz gefunden haben, ist lang. Es heißt, dass täglich drei Frauen in der Türkei durch männliche Gewalt sterben. Viele davon wussten, was sie erwartet, fanden aber keine Hilfe bei dem Versuch dieses Schicksal abzuwenden.

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